Gilt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz für mein Unternehmen?

Wir kündigten bereits eine Reihe von Artikeln zum künftigen (am 28.06.2025 in Kraft tretenden) Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) an. Dieser Beitrag soll Schritt für Schritt die Prüfungspunkte erläutern, um herauszufinden, ob das Gesetz auf Ihr Unternehmen anwendbar ist. Hinsichtlich des Volltextes der angesprochenen Rechtsnormen verweisen wir zur Steigerung des Leseflusses auf unseren weiteren Artikel mit den Fundstellen.

1. Bin ich sog. „Wirtschaftsakteur“ im Hinblick auf die in § 1 Absatz 2 BFSG genannten Produkte?

Diese sind:

„[…] folgende Produkte, die nach dem 28. Juni 2025 in den Verkehr gebracht werden:
1. Hardwaresysteme für Universalrechner für Verbraucher einschließlich der für diese Hardwaresysteme bestimmte Betriebssysteme;
2. die folgenden Selbstbedienungsterminals:
a) Zahlungsterminals und zu diesen gehörige Hardware und Software;
b) die folgenden Selbstbedienungsterminals, die zur Erbringung der unter dieses Gesetz fallenden Dienstleistungen bestimmt sind:
aa) Geldautomaten;
bb) Fahrausweisautomaten;
cc) Check-in-Automaten;
dd) interaktive Selbstbedienungsterminals zur Bereitstellung von Informationen, mit Ausnahme von Terminals, die als integrierte Bestandteile von Fahrzeugen, Luftfahrzeugen, Schiffen oder Schienenfahrzeugen eingebaut sind;
3. Verbraucherendgeräte mit interaktivem Leistungsumfang, die für Telekommunikationsdienste verwendet werden;
4. Verbraucherendgeräte mit interaktivem Leistungsumfang, die für den Zugang zu audiovisuellen Mediendiensten verwendet werden, und
5. E-Book-Lesegeräte.“

Für den üblichen Online-Händler dürften hier v.a. Ziffern 3 (z.B. Mobiltelefone), 4 (z.B. Tabletts) und 5 relevant sein.

Unter Wirtschaftsakteur fallen dabei Hersteller, Bevollmächtigte, „Einführer“ (Importeure) und (Zwischen-)Händler und ein späterer Blick ins Gesetz wird offenbaren, dass diese eine umfassende Haftung treffen kann. Die entsprechenden Begriffsbestimmungen finden sich in § 2 BFSG:

§ 2 BFSG – Begriffsbestimmungen
„Im Sinne dieses Gesetzes ist oder sind

[…]

10. „Inverkehrbringen“ die erstmalige Bereitstellung eines Produkts auf dem Unionsmarkt;
11. „Hersteller“ jede natürliche oder juristische Person oder rechtsfähige Personengesellschaft, die ein Produkt herstellt oder entwickeln oder herstellen lässt und dieses Produkt unter ihrem eigenen Namen oder ihrer eigenen Marke vermarktet;
12. „Bevollmächtigter“ jede in der Europäischen Union ansässige natürliche oder juristische Person oder rechtsfähige Personengesellschaft, die von einem Hersteller schriftlich beauftragt wurde, in seinem Namen bestimmte Aufgaben wahrzunehmen;
13. „Einführer“ jede in der Europäischen Union ansässige natürliche oder juristische Person oder rechtsfähige Personengesellschaft, die ein Produkt aus einem Drittstaat auf dem Unionsmarkt in den Verkehr bringt;
14. „Händler“ jede natürliche oder juristische Person oder rechtsfähige Personengesellschaft in der Lieferkette, die ein Produkt auf dem Markt bereitstellt, mit Ausnahme des Herstellers oder des Einführers;
15. „Wirtschaftsakteur“ ein Hersteller, Bevollmächtigter, Einführer, Händler oder Dienstleistungserbringer;“

2. Erbringe ich Dienstleistungen i.S.d. § 1 Abs. 3 BFSG ODER (ACHTUNG!) BIN ICH SONST ONLINEHÄNDLER!

Das BFSG gilt zudem gemäß § 1 Abs. 3 BFSG

„[…] gilt für folgende Dienstleistungen, die für Verbraucher nach dem 28. Juni 2025 erbracht werden:
1. Telekommunikationsdienste mit Ausnahme von Übertragungsdiensten zur Bereitstellung von Diensten der Maschine-Maschine-Kommunikation;
2. folgende Elemente von Personenbeförderungsdiensten im Luft-, Bus-, Schienen- und Schiffsverkehr mit Ausnahme von Stadt-, Vorort- und Regionalverkehrsdiensten, für die nur die Elemente unter Buchstabe e gelten:
a) Webseiten;
b) auf Mobilgeräten angebotene Dienstleistungen, einschließlich mobiler Anwendungen;
c) elektronische Tickets und elektronische Ticketdienste;
d) die Bereitstellung von Informationen in Bezug auf den Verkehrsdienst, einschließlich Reiseinformationen in Echtzeit, bei Informationsbildschirmen allerdings nur dann, wenn es sich um interaktive Bildschirme im Hoheitsgebiet der Europäischen Union handelt, und
e) interaktive Selbstbedienungsterminals im Hoheitsgebiet der Europäischen Union, mit Ausnahme der Terminals, die als integrierte Bestandteile von Fahrzeugen, Luftfahrzeugen, Schiffen und Schienenfahrzeugen eingebaut sind und für die Erbringung von solchen Personenbeförderungsdiensten verwendet werden;
3. Bankdienstleistungen für Verbraucher;
4. E-Books und hierfür bestimmte Software und
5. Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr.“

Es gilt jedoch gemäß § 1 Abs. 4 BFSG

„[…] gilt nicht für den folgenden Inhalt von Webseiten und mobilen Anwendungen:
1. aufgezeichnete zeitbasierte Medien, die vor dem 28. Juni 2025 veröffentlicht wurden; 
2. Dateiformate von Büro-Anwendungen, die vor dem 28. Juni 2025 veröffentlicht wurden;
3. Online-Karten und Kartendienste, sofern bei Karten für Navigationszwecke wesentliche Informationen barrierefrei zugänglich in digitaler Form bereitgestellt werden;
4. Inhalte von Dritten, die von dem betreffenden Wirtschaftsakteur weder finanziert noch entwickelt werden noch dessen Kontrolle unterliegen;
5. Inhalte von Webseiten und mobilen Anwendungen, die als Archive gelten, da ihre Inhalte nach dem 28. Juni 2025 weder aktualisiert noch überarbeitet werden.“

Unklar ist dabei in § 1 Abs. 3 Ziffer 5 BFSG die „Dienstleistung im elektronischen Geschäftsverkehr“.

In den Leitlinien zum BFSG vertritt die zuständige Behörde die Auffassung, dass dabei auch der Warenvertrieb (gleich welcher Art) im elektronischen Geschäftsverkehr gemeint sein soll. Dies findet sich auch in Erwägungsgrund 43 der zu Grunde liegenden EU-Richtlinie, welcher besagt:

„(43) Die Barrierefreiheitsanforderungen an Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr nach dieser Richtlinie sollten für den Online-Verkauf von jeglichen Produkten oder Dienstleistungen gelten und sollten daher auch für den Verkauf eines Produkts oder einer Dienstleistung gelten, die für sich genommen unter diese Richtlinie fällt.“

Im jeweiligen Normtext findet sich diese Auslegungsregel aber nicht ausdrücklich wieder, sodass hier zumindest im Falle von Bußgeldverfahren Diskussionsbedarf bestehen könnte. Gleichwohl kann unter dieser Prämisse und vor etwaiger höchstrichterlicher Klärung nur – zur Sicherheit – geraten werden, im elektronischen Rechtsverkehr mit (nur) Waren und nicht Dienstleistungen ebenfalls die Regelungen des BFSG zu beachten.

3. Vorausgesetzt, ich verbreite keine Produkte i.S.d. § 1 Abs. 2 BFSG, aber betreibe einen kleinen Onlinehandel im Nebenberuf (…) muss ich dann ebenfalls die Voraussetzungen erfüllen?

§ 3 Abs. 3 Satz 1 BFSG sieht bei Erbringung von Dienstleistungen eine Ausnahmevorschrift für sog. Kleinstunternehmen vor.

„(3) Absatz 1 gilt nicht für Kleinstunternehmen, die Dienstleistungen anbieten oder erbringen. […]“

Hier stellt sich in gleicher Weise die Frage, ob „Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr“ (wenn schon zunächst zu Lasten des Händlers auch für Waren angewandt), nun auch den kompletten Onlinehandel umfassen, soweit man Kleinstunternehmer ist. Da dies sonst wenig stringent wäre, würden wir das in Ermangelung etwaiger Rechtsprechung hierzu vertreten, solange die im elektronischen Geschäftsverkehr angebotenen Waren nicht den Produkten in § 1 Abs. 2 BFSG (s.o.) entsprechen.

Voraussetzung bleibt, dass man „Kleinstunternehmer“ ist. Selbige sind in § 2 Ziffer 17 BFSG definiert als:

„ein Unternehmen, das weniger als zehn Personen beschäftigt und das entweder einen Jahresumsatz von höchstens 2 Millionen Euro erzielt oder dessen Jahresbilanzsumme sich auf höchstens 2 Millionen Euro beläuft;“

Unterfällt man den eingangs zitierten Absätzen 2 und/oder 3 des § 1 BFSG und greift also im Falle des § 1 Abs. 3 BFSG nicht die Ausnahme des § 3 Abs. 3 BFSG, so muss man sich als Unternehmer je nach Ware (Produkt) oder „Dienstleistung“ (umfasst auch kompletten Onlinehandel) mit den jeweils spezifischen Vorgaben der Barrierefreiheit befassen.

Was das bedeutet, soll je nach Branche in weiteren Artikeln beleuchtet werden.